Beitrag 2, August 2018

Prüfen der Abnahmereife des Gemeinschaftseigentums, wesentliche Mängel und ihre Folgen?

    Beitrag 2, August 2018:

    Bei ca. 60 Erwerbern von Wohnungen in einer großen, neu entstehenden Wohnungseigentumsanlage herrschte Unsicherheit darüber, ob ihr Gemeinschaftseigentum abnahmereif war oder nicht.  Der Verkäufer ging bereits davon aus, dass die Abnahme des Gemeinschaftseigentums erfolgt sei.

    Weil vom Verkäufer (Bauträger) keine Einladung zur Schlussbegehung des Objekts als Vorbereitung für die Abnahme des Gemeinschaftseigentum erfolgte, bereiteten die Eigentümer diese selbst vor. Die Einladung der Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) zur Begehung schlug der Bauträger aus. Zu ihrer Unterstützung beauftrage die WEG einen Bausachverständigen und einen Baufachanwalt.

    Bei mehreren Ortsterminen notierte ich zusammen ca. 340 Mängel und dokumentierte sie mit Fotos. Daraus erstellte ich Mängellisten mit fortlaufender Nummerierung und Bezug auf die Soll-Leistungen. Drei mehrfach vorkommende Mängel bewertete ich als wesentlich und markierte diese besonders. Ich bewertete das Ergebnis der Ortstermine am Ende so, dass eine Abnahmereife nicht erreicht war.

    Wesentliche Mängel –stehen dem Bezug des Objekts entgegen, eine Abnahmereife ist nicht erreicht.
    Geringfügige Mängel – stehen dem Bezug des Objekts nicht entgegen, die Abnahmereife ist erreicht.

    Beim Brandschutz bestanden wesentliche Mängel, die fachlich gegen eine Abnahmereife sprachen:
    Hauseingangstüren zu Treppenhäusern ließen sich trotz Lage im Fluchtweg von innen abschließen.
    Brandschutztüren im Kellergeschoss schlossen nicht selbsttätig entgegen der Brandschutzauflage.
    Dachausstiege mit Rauchabzugsfunktion waren verriegelt; sie hätten sich bei Gefahr nicht geöffnet.

    Der Baurechtsanwalt übersandte die Mängellisten an den Bauträger mit der Bitte um Stellungnahme. Vorab waren dem Bauträger die wesentlichen Mängel zur schnellen Beseitigung mitgeteilt worden.

    Die Mängel zu den Hauseingangs- und den Brandschutztüren beseitigte er, zu den verriegelten Rauchabzugsklappen schlug er eine Entriegelung und den Schlüsseleinzug durch die Verwaltung vor.

    Aus bautechnischer Sicht und aus Gewährleistungsgründen ist es erforderlich, dass der Bauträger die Verriegelungen selbst ausbaut, weil eine irrtümliche Verriegelung später nicht auszuschließen ist.

    Mit Hilfe des Baurechtsanwalts erfolgte die Vorbereitung für ein gemeinsames Gespräch zur Lösung.

    Mein Kommentar als Bausachverständiger

    Oft entsteht eine Diskussion darüber, ob Mängel als wesentlich oder unwesentlich zu bewerten sind, davon hängt letztlich ab, ob eine Abnahmereife vorliegt und ein Sachverständiger diese empfiehlt. Während der Verkäufer eher großzügig argumentiert, tendieren die Käufer zum genauen Gegenteil. Es ist eine bausachverständige Aufgabe, hier neutrale und überzeugende Positionen zu entwickeln.

    Nachfolgend einige Beispiele und Bewertungen, die für wesentliche Mängel sprechen könnten:
    – Prüfnachweise für Tragwerk und Brandschutz fehlen – die Nutzungsfreigabe des Bauamtes fehlt.
    – Absenkdichtungen von Wohnungseingangstüren sind nicht eingestellt – die Rauchdichtigkeit fehlt.
    – Weg zum Hauseingang ist ungefestigt, im Treppenhaus fehlt Licht – die Erschließung ist ungesichert.

    Nun einige Beispiele und Bewertungen, die als Anzeichen für unwesentliche Mängel dienen könnten:
    – Dachabläufe einer Flachdachabdichtung liegen zu tief – die Regenwasserableitung funktioniert aber.
    – Estrichflächen im Flur des Kellergeschosses sind gerissen – das gefahrlose Begehen ist aber möglich.
    – Anschlüsse von Putzflächen im Treppenhaus sind uneben – die Sanierung kann auch später erfolgen.

    Wesentliche Mängel sind sehr gravierend, sie verhindern z. B. ein gefahrloses Bewohnen des Objekts. Oder sie verhindern, dass z. B. ein ordnungsgemäßer Bezug der Wohnung mit Möbeln erfolgen kann. Das gleiche gilt, wenn z.B. eine andere als die vereinbarte Bauqualität die ganze Wohnung betrifft.

    Manchmal werde ich danach gefragt, ob wirklich alle festgestellten Mängel beseitigt werden müssen. Die grundsätzliche Antwort lautet: Selbstverständlich, der Verkäufer schuldet ein mängelfreies Werk. Jedoch gebe ich zugleich den Hinweis, dass in der Bearbeitung Prioritäten beachtet werden sollten:
    – Zuerst sind die wesentlichen Mängel zu beseitigen, denn vorher besteht gar keine Abnahmereife.
    – Sodann sind sämtliche Mängel zu beseitigen, die eventuell Folgeschäden nach sich ziehen können.
    – Zuletzt sind solche geringfügigen Mängel zu beheben, die keine Folgeschäden nach sich ziehen.

    Nicht selten ist eine für beide Seiten gesichtswahrende Lösung des Abnahmekonflikts aufzuzeigen. Manchmal fehlen nur einige Stunden, ein Tag oder einige Tage, um die Abnahmereife herzustellen. Mit ein wenig gutem Willen sind dann Unterschriften unter das Abnahmeprotokoll zu verschieben. Anders sieht es aus, wenn die Beseitigung wesentlicher Mängel Wochen- oder gar Monate dauert. Diese Fälle führen häufig zu Forderungen der Erwerber nach einem Schadensersatz für Bauverzug. Manchmal sind in den Kaufverträgen zur Abgeltung von Ansprüchen auch Pauschalen vorgesehen.

    Gemäß dem Kaufvertrag hat der Bauträger dem Erwerber die Fertigstellung schriftlich anzuzeigen. Außerdem hat er den Erwerber schriftlich mit einem Vorlauf (oft 14 Tage) zur Abnahme einzuladen. In der Regel ist in den Kaufverträgen festgelegt, dass die Abnahmereife des Gemeinschaftseigentums durch einen öffentlich bestellten Sachverständigen oder eine anerkannte Institution festgestellt wird. Es ist üblich, dass der Bauträger diesen Sachverständigen beauftragt und dessen Kosten übernimmt. Die Erwerber sollten sich erkundigen, ob der Sachverständige für den Bauträger bereits in der Bauphase tätig war oder bei anderen Objekten, nicht selten entstehen daraus ungute Abhängigkeiten. Aus vielfacher Erfahrung rate ich allen Erwerbern, sich einen eigenen Sachverständigen zu „leisten“.

    Manchmal stellen die Bauträger die Abschlussrechnungen bereits vor der Begehung zur Abnahme, mit dem Hinweis, dass nach der erfolgreichen Abnahme die Schlüssel sofort ausgehändigt werden. Grundsätzlich empfehle ich Erwerbern, immer einen „Plan B“ für scheiternde Abnahmen zu haben. Zu früh gekündigte Wohnungen, Möbeleinlagerungen und Hotelübernachtungen verursachen Stress. Noch ärgerlicher ist es aber, bei Mängeln kein Druckmittel (Geld) mehr in der Hinterhand zu haben.

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