Beitrag 4, September 2018

Ist die Abnahme des Gemeinschaftseigentums eines großen Neubaus bereits erfolgt oder nicht?

    Beitrag 4, September 2018:

    Bei ca. 60 Erwerbern von Eigentumswohnungen in einer großen Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) herrschte Unklarheit darüber, ob ihr Gemeinschaftseigentum abgenommen war oder nicht. Der Verkäufer vertrat den Standpunkt, dass die Abnahme des Gemeinschaftseigentums durch die Eigentümer zusammen mit der Abnahme des Sondereigentums (einzelne Wohneinheit) erklärt wurde.

    Gemeinschaftseigentum – Grundstück und allgemeine bauliche Anlagen außerhalb der Wohnung
    Sondereigentum – Einzelne Wohneinheit eines Erwerbers, hier auch PKW-Stellplatz in der Tiefgarage

    Offenbar hatte der Bauträger angestrebt, bei der Abnahme des Sondereigentums von den Eigentümern auch die Abnahme des Gemeinschaftseigentums insgesamt oder von Teilen erklären zu lassen. Im Abnahmeformular zum Sondereigentum war optional möglich, durch Ankreuzen die Abnahme des Gemeinschaftseigentums insgesamt oder von Teilen (Häuser, Tiefgarage, Außenanlagen) zu erklären.

    Einige Erwerber waren sich sicher, dass sie nur Teile des Gemeinschaftseigentum angekreuzt hatten. Andere Eigentümer teilten mit, dass zu dem Zeitpunkt ihrer Wohnungsabnahme in den Häusern der ersten Bauabschnitte, die Bauleistungen in den letzten Bauabschnitten nicht fertiggestellt waren.

    Die WEG beauftragte über ihre Verwaltung einen Bausachverständigen und einen Baurechtsanwalt. Meine Recherche in den (bei der Hausverwaltung) vorliegenden Abnahmeprotokollen ergab vollständige Abnahmeerklärungen zum Sondereigentum und unvollständige zum Gemeinschaftseigentum. Der Baurechtsanwalt erklärte, dass keine Abnahme des Gemeinschaftseigentums erfolgt sein kann, weil der Bauträger die Erklärung aller Eigentümer zum gesamten Gemeinschaftseigentum benötigt.

    Mein Kommentar als Bausachverständiger

    In den meisten Kaufverträgen ist geregelt, dass die Abnahme des Sondereigentums getrennt von der Abnahme des Gemeinschaftseigentums erfolgen kann, falls die Umstände eine Trennung nahelegen.

    Bei großen Projekten (wie hier) ist eine zeitliche Gliederung der Bauarbeiten in Bauabschnitte üblich, um einen organsierten Bauablauf und eine gleichmäßige Auslastung vieler Arbeitskräfte zu erzielen. Folglich sind die Wohnungen in den ersten Bauabschnitten früher abnahmereif als in den späteren. Gleiches gilt für Teile des Gemeinschaftseigentums, sie werden mit den Bauabschnitten abnahmereif. Technisch gesehen konnte infolge der Teilung in Bauabschnitte zum Zeitpunkt der frühen Sondereigentumsabnahmen die Abnahmereife des gesamten Gemeinschaftseigentums nicht erreicht sein.

    In der Praxis hat sich bewährt, bei der Abnahme des Sondereigentums diejenigen Teile des Gemeinschaftseigentums mit abzunehmen, die unmittelbar mit einer Wohnung im Zusammenhang stehen. Das sind zum Beispiel die Wohnungseingangstüren, Fenster, Türen zu Balkonen und Fassadenteile, weil diese Bauteile später ohne eine Wohnungsbegehung nicht mehr begutachtet werden können.

    Üblicherweise erfolgen zuerst alle Abnahmen des Sondereigentums und danach, je nach der Objektgröße, eine oder mehrere Ortsbegehungen vorbereitend zur Abnahme des Gemeinschaftseigentums. Hier strebte der Bauträger eine gemeinsame Abnahme des Sonder- und Gemeinschaftseigentums an, um den Erwerbern die letzten Kaufpreisraten so schnell wie möglich in Rechnung stellen zu können. Technisch ist es unsinnig, eine Abnahme zu behaupten, die praktisch noch nicht stattfinden konnte. Sich daraus ergebende rechtliche Probleme lassen sich oft nur noch mit einer juristischen Hilfe lösen.

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